So gegensätzlich kann der Sinn des Metals aufgefasst werden: während die einen ihn für das perfekte Medium halten, um ihren perversen Gewaltphantasien im Namen des Satans und seiner Armee von besoffenen Untoten freien Lauf zu lassen, singen die anderen über die reinigende Kraft des Feuers oder die kosmischen Energien des ewigen Lichts. Beides klingt abgefahren und bei beidem handelt es sich mit Sicherheit nur um Extrempunkte auf einer weiten Skala. Doch lassen sich Becoming The Archetype in der Tat ohne Probleme als kompromisslose gottesgläubige Headbanger identifizieren, die religiöse Inhalte gekonnt in Musik umsetzen. Das haben sie von Beginn an gemacht („Terminate Damnation“, 2005) und sind seitdem ihrer Linie treu geblieben.

Freilich geht es ihnen nicht um die Missionierung oder Bekehrung von Ungläubigen – obwohl deren Zahl ja gerade durch den Einfluss von sich auf der Bühne hemmungslos besaufenden und begattenden sowie Masken tragenden und dem Okkulten anhängenden Vertretern des Metals stetig steigen dürfte. Dazu hätten sie sich wohl eher dem Gospel oder der Klassik verschrieben, als dem progressiven Todesmetall. Und doch hat „Celestial Completion“ eine Seele, die sich dem Hörer offenbart, in ihm wirkt. Etwas Schönes und Zerstörerisches zugleich, das sich entfaltet, wie der Todesengel auf dem Coverartwork der Scheibe.

Alles mit sich reißend übertrumpft „Celestial Completion“ locker den Vorgänger „Dichotomy“, an dem es so einiges auszusetzen gab: die wenigen wirklichen Knaller waren so sehr mit Durchschnittsongs vermengt, dass es das ganze Album herunterriss und die Vermutung eines Schnellschusses nahe lag („Dichotomy“ erschien nur ein Jahr nach dem genialen „The Physics Of Fire“); Devin Townsend hatte der Platte sowohl bei den Songideen als auch in der Produktion einen unverkennbaren Stempel aufgedrückt, den Jungs damit aber einen Bärendienst erwiesen. Das ganze klang zu rund und ausgekocht, essenz- und energielos. Als ob Devin am einen Ende des Seils und Becoming The Archetype am anderen Ende gezogen hätten.

Zum einen hat nun auf „Celestial Completion“ aber Matt Goldman Hand an die Regler gelegt und dem Klangbild Becoming The Archetypes damit wieder mehr Frische verliehen, zum anderen hat das Quartett aus Atlanta, Georgia, Mut zu neuen musikalischen Ansätzen gefunden. Progressiv auf „traditionelle Art“ ist das Ganze immer noch – abzulesen beispielsweise am genialen Klavier-Instrumental „Music Of The Spheres: Requiem Aeternam I“, das an die Instrumentalstücke des Erstlings „Terminate Damnation“ erinnert. Doch nahtlos knüpft „Elemental Wrath: Requiem Aeternam II“ daran an, das mit einem Heavy Metal-Riff und im Vierteltakt einzählender Bassdrum erstmal vor den Kopf stößt, indem es im ersten Moment unschöne Erinnerungen an die „lauteste Band der Welt“ weckt. Ähnlich verstörend für Fans der US-Amerikaner dürfte der recht hohe Ska-Anteil (ja, Ska!, und zwar mit richtigen Bläsern!) am Ende von „Cardiac Rebellion“ sein. Isoliert betrachet hört sich beides wie ein selbstinitiierter und -inszenierter musikalischer Suizid der Band an. Schaut man jedoch, wie genial sich „Elemental Wrath: Requiem Aeternam II“ aus dem erwähnten simplen Riff heraus noch zu einem mörderisch facettenreichen und anspruchsvollem Achtminüter entwickelt, und betrachtet man den Schlussteil von „Cardiac Rebellion“ als abschließendes Augenzwinkern, kann man sich nicht nur mit diesen neuen Elementen anfreunden, sondern man wird sie als essentiellen Teil des neuen Konzeptes der Band verstehen. Zugegeben, einen guten Draht zu Bands wie Between The Buried And Me, Devin Townsend oder Wretched zu haben, hilft einem dabei, die Art des Humors hinter der Ernsthaftigkeit dieses Konzeptalbums zu verstehen. Aber im Endeffekt reicht es, wenn man open-minded ist.

Größtes Hitpotential hat das straighte „The Magnetic Sky“, das sich direkt an das Intro anschließt und dem Album einen perfekten Start verpasst, sowie das kongeniale „Breathing Light“, mit dem man wieder in diese ach so gottlose Welt entlassen wird. Düster baut sich „Xenosythesis: Requiem Aeternam III“ vor dem Hörer auf, entfaltet seine Wirkung erst richtig durch den Einsatz des weiblichen Gesangs, der sich über die Doublebass-Passage legt und in seiner „himmlischen“ Art durchaus Parallelen zu Haggard aufweist. Wütend und mit verzerrten Stimmen prügelt „Internal Illumination“ auf die Kreatur jenseits der Boxen ein, weiß aber auch durch rhythmische Varianz zu überzeugen. „Invisble Creature“ ist mit seinem Sitar- und Tablas-Einsatz als ein kleiner – aber gelungener – Ausflug in die indische Folklore zu betrachten: Atmosphäre pur!

Mit „Celestial Completion“ haben Becoming The Archetype endlich wieder ein Opus geschaffen, dem man die lange Arbeit und die Zeit der Inspiration anmerkt. Die neuen Einflüsse sind optimal in das altbekannte Gesicht der Band eingearbeitet und machen den Ausrutscher „Dichotomy“ ohne Umschweife wett. Es gibt mehr (Details) zu entdecken, als je zuvor, was nicht nur den Wiedererkennungswert des Albums enorm steigert, sondern auch den Wiederhör-Faktor. Für Anhänger der Kombo – vor allem für Verehrer des Kult-Erstlings „Terminate Damnation“ – eine unbedingte Empfehlung. Alle anderen Progressive Metal-Heads sollten ein Ohr riskieren – auch wenn die Platte leider nicht in Europa vertrieben wird und daher nur als viel zu teurer Import erhältlich ist.

Ach ja, und für alle Extrem-Metaller mit dunkelsatanistischer Schlagseite und unterschwelliger Angst um ihr Seelenheil wäre es die perfekte Möglichkeit zur Therapie. In diesem Sinne: „Father of lights / shine upon us here / take the darkness from our hearts / make it disappear“.

Becoming The Archetype · Celestial Completion · 2011

Redaktion

verfasst von ewonwrath
vom 31.05.2011

9 / 10

Playlist

01 - The Resonant Frequency Of Flesh
02 - The Magnetic Sky
03 - Internal Illumination
04 - Path Of The Beam
05 - Music Of The Spheres: Requiem Aeternam I
06 - Elemental Wrath: Requiem Aeternam II
07 - Xenosynthesis: Requiem Aeternam III
08 - Invisible Creature
09 - Cardiac Rebellion
10 - Reflect/Refract
11 - Breathing Light