Es ist zwar schon genau einen Monat her, dass wir Sólstafir mit unserem Clip of the Week für ihr cineastisches Meisterwerk "Fjara" geehrt haben, aber mit den nordeuropäischen Insulanern zu quatschen ist immer interessant. Diesmal stand uns Schlagwerker und Kunstbeauftragter Guðmundur zur Verfügung, welcher sich ausschweifend und intensiv über das Video ausließ und detailverliebte Einblicke in den Produktionsablauf und die vielen nützlichen Bandbekanntschaften eröffnet. Zudem gibt es heiße Neuigkeiten um mit Bildern vollgepackte Rundmedien zu erfahren! Also einmal über die Augen wischen und alles aufnehmen!
Hallo Jungs! Schön, dass ihr euch ein bisschen Zeit genommen habt. Wir hoffen, ihr seid in guter Verfassung und nicht zu gestresst von Filmaufnahmen, Proben oder dem vielen Trinken. Eure aktuelle Platte "Svartir Sandar" hat gutes Feedback von der Presse bekommen. Jetzt ist es an der Zeit, über den ersten visuellen Aspekt des neuen Albums zu sprechen.
Vor einigen Wochen habt ihr den Clip zu "Fjara" veröffentlicht und direkt unseren Clip of the Week abgeräumt. "Fjara" war auch der erste Song, den man damals vor dem Release hören konnte. Wieso habt ihr erneut "Fjara" gewählt? Gibt es eine besondere Verbindung zu dem Song?
Wir haben einfach herausgefunden, dass das der zugänglichste Song für die Leute ist. Es ist zwar nicht unbedingt der typischste Song dieser Platte, wenn man aber genau darüber nachdenkt, ist eigentlich kein Song wirklich typisch für irgendwas.
Sólstafir
War einmal mehr Guðmundur für den Clip verantwortlich oder gab es irgendwelche Unterschiede im Vergleich zu den Aufnahmen eurer anderen Clips?
Nun, wir haben bisher drei Videos gedreht. "Ritual of Fire" (welches eigentlich als Live-Hintergrund aufgenommen wurde), "Love is the Devil" und "She Destroys Again". All diese Videos haben einen sehr unterschiedlichen Ansatz. "Ritual of Fire" wurde von unserem Freund Matthias Kristjánsson geplant, gedreht und geschnitten. Er hat auch den Sarg für das "Fjara"-Video gebaut. Dieser Kerl ist sowas wie unser fünftes Mitglied (ich kenne ihn nebenbei gesagt schon seit ich drei Jahre alt bin).
Das "Love is the Devil"-Video wurde von Gunnar “Sir Gussi” B. Guðbjörnsson von Sleepless in Reykjavík Productions gedreht und geschnitten, aber von mir [Guðmundur] geschrieben. Er hat mich als Director eingetragen. Aber um ganz ehrlich zu sein, das Ding hat sich von selbst gedreht und er war die führende Kraft, haha!
Das ganze Ding wurde an einem Tag gedreht und am nächsten bearbeitet. Die Crew bestand allein aus uns, den zwei Schauspielern, Gussi und unserer amerikanischen Freundin Jessie Ammons-Carswell, welche sich um das Make-Up gekümmert hat. Keiner wurde bezahlt, abgesehen von Gussi, welcher ein Shrimp-Sandwich, aber keinen Drink bekam.
Das "She Destroys Again"-Video habe ich allein gemacht. Das war die wohl schlechteste Idee, die ich jemals hatte (vielleicht abgesehen davon, mit einem 70 kg-Sarg an einem Seil durch einen Fluss zu waten, der mir bis zu den Oberschenkeln reichte, in 5 Metern Entfernung zu einem 60 Meter tiefen Wasserfall).
Dieses Video habe ich komplett mit einer analogen 35-mm-Spiegelreflexkamera (ja, genau die, die eure Eltern zu besitzen pflegten) aufgenommen und ich musste jeden einzelnen Frame scannen. Anschließend habe ich alles in Final Cut zusammengesetzt, um es zu animieren und Addis Mund an den Gesang anzupassen. Ich wollte nicht einmal, dass es perfekt aussieht. Es sollte rau wirken. Dieser ganze Prozess hat mich trotzdem ungefähr ein Jahr gekostet, in dem ich immer wieder an diesem Ding dran gesessen habe
Das "Fjara"-Video war die bisher wohl größte Produktion für uns. Wir haben einen amerikanischen Filmemacher angeheuert, einen Kerl namens Bowen Staines von Don't Panic Films. Er hat schon für National Geographic und einige andere gearbeitet. Er und Gussi haben schon einige Musikdokumentationen zusammen gemacht und da Gussi ein sehr guter Freund von uns ist, haben wir ihn durch einen Trick zum Co-Director gemacht.
Sólstafir
Addi und ich hatten zuvor schon die grobe Idee für das Video, welche von dem 60er-Jahre Spagetti-Western "Django" inspiriert war. Ich habe mich dann einige Male mit Bowen zusammengesetzt und durch Brainstorming ein funktionierendes Skript entwickelt. Bo ist so professionell, dass jede einzelne Aufnahme schon vor dem Dreh besprochen war. Irgendwann während dieses Prozesses sind Bo, ich und unser guter Freund, Jakob Veigar Hinn Hressi, dann an der isländischen Südküste auf die Suche nach geeigneten Locations gegangen. Ich kannte diese Region schon ziemlich gut, aber Jakob kennt sie sogar noch besser und hat uns einige Plätze gezeigt, die absolut genial aussahen.
Wie ich schon vorher erwähnt hatte, baute unser Freund Matthias den Sarg für uns und hat dabei wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Was das Ding alles einstecken musste, und trotzdem hat er über mehr als zwei Monate gehalten. Die einzige Sache ist, dass er den Sarg seiner eigenen Physik nachgebaut hat und der Typ ist zwei Meter groß. Das Mädchen, was den Sarg letztendlich ziehen musste, ist gerade mal 160 cm groß und wiegt weniger als 50 kg, haha!
Addi hatte sogar schon ein Mädchen für die Hauptrolle im Blick, aber da sie in Schweden wohnt und sich die Dreharbeiten aufgrund unserer recht vollen Terminkalender um einige Monate verschoben hatten, haben wir das Zeitfenster verpasst, in dem sie in Island war. Damals hatten wir gerade eine Freundin von Svavar, Rebekka Kolbeinsdóttir, kennengelernt. Eine sehr talentierte Sängerin, Schauspielerin und Fotografin (Schaut euch mal die Projekte Homeless und Vakna Photography von ihr und ihrem Manna an). Wir dachten uns dann, dass sie perfekt für diese Rolle wäre. Was wir nicht erwartet hätten, war ihr 100-prozentiges Engagement, einen Sarg barfuß durch die raue isländische Landschaft zu ziehen, der ihr doppeltes Gewicht hatte. Und das auch noch in der frierend-kalten Novemberluft! Wenn jeder soweit war aufzugeben, hat sie die Moral wieder entfacht, indem sie sich kein einziges Mal beschwert hat. Und wenn sie es nicht machte, konnten wir das natürlich auch nicht tun.
Sólstafir
Rebekka stellte uns dann ihre Freundin Kolla Jóns vor, eine Make-Up-Künstlerin und Malerin. Sie spielte letztlich eine sehr große Rolle für das Aussehen des Clips, besonders was das Kostüm und Make-Up von Svavar (der Schamane) angeht. Wie ich schon gesagt habe, das war unsere größte Produktion bisher. Das Budget lag trotzdem nur bei 2500 € (wenngleich es damit endete, dass wir zusätzliche 500 € aus der eigenen Tasche bezahlten). Dennoch sieht die Produkion sehr hochwertig aus. Diesmal wurde auch nur Bowen bezahlt und Gussi bekam nicht einmal sein Shrimp-Sandwich. Der Rest der Crew arbeitete nur für Essen und Alkohol in rauen Mengen. Aber ich hoffe, dass sie alle wissen, damit außerdem unsere ewige Liebe und unseren Respekt gewonnen zu haben!
Wie lange dauerte es, das ganze Projekt abzuschließen und wie weit seid ihr dafür durch Island gereist?
Das Konzept begann damals im Juli Form anzunehmen. Die ersten Drehs begannen im späten September und waren im November fertig. Die Bearbeitung hat einen weiteren Monat in Anspruch genommen. Wir mussten immer wieder pausieren, da jeder sehr viel zu tun hatte und keiner seine komplette Zeit dafür aufopfern konnte.
Im Grunde haben wir die komplette Südküste Islands bereist. Der entfernteste Punkt lag vielleicht 500 - 600 km von Reykjavík entfernt. Aufgrund von Terminen und der Tatsache, dass wir am ersten Tag vor einem Sturm zurück nach Reykjavik fliehen mussten, fuhren wir diese Strecke einige Male. Wir schafften es aber, während der zweiten Drehphase eine Art Basislager einzurichten. Das war das Norður-Vík Gästehaus, in einer hübschen kleinen Stadt namens Vik, welche genau in der Mitte lag.
Ihr habt auch in Sólheimasandur gefilmt. Ein berühmter Platz, den auch schon Sigur Rós für "Heima" genutzt hat. Was hat euch inspiriert und wann habt ihr euch für diese Orte entschieden?
Wir wussten gleich, dass die Südküste perfekt für das Video wäre, mit all den schwarzen Sandwüsten und epischen Landschaften. Wir wollten zudem das Gefühl einer fremden Welt etwas aufbrechen, indem wir das Wrack eines modernen Flugzeugs eingebaut haben. Wir hatten das Gefühl, dass es für den Zuschauer eine Verbindung zur realen Welt etabliert und zudem perfekt als Nachtlager während der Reise des Mädchens herhalten konnte. Und wenn ich ein psychedelischer Schamane wäre, der irgendwo im Nichts lebt, würde ich definitiv dort wohnen wollen, haha!
Ich kannte den Ort mit dem Flugzeug außerdem schon, als ich als Geländewagenführer gearbeitet habe und Touristen mit 4x4-Wagen auf die Gletscher fuhr. Wenn damals noch Zeit war, hielt das Flugzeug immer als Extra-Stop her.
Es hatte den Anschein, als wäre dieses mal nur Aðalbjörn zu sehen. Er spielt eine Art Geist eines toten Mannes. Was ist das Konzept dahinter?
Nein, wir tauchen alle in dem Video auf. Sæþór erscheint einige Male als Geist der Wildnis, welcher das Mädchen zu dem Schamanen führt (gespielt von Svavar) und ich tauche als Erdgeist auf, welcher versucht, sie in ihr zeitiges Grab zu ziehen (oder man sagt einfach Zombie, wie das jeder tut, haha).
Es ist nicht wirklich zu erschließen, was in dem Sarg ist. An einigen Stellen könnte sich der Zuschauer fragen, wieso der Kerl lieber seine Pfeife raucht, als dem armen Mädchen zu helfen. Kannst du etwas Licht in das Dunkel der Geschichte bringen?
Sólstafir
Es soll gar nicht klar sein, ob der Sarg für sie oder jemand anderen vorgesehen ist. Der Geist der Wildnis hilft ihr nicht, weil es nicht seine Aufgabe ist sich darum zu kümmern, was oder warum sie etwas zieht. Aber da er ein wohlwollender Geist ist, führt er sie zu dem Schamanen, welcher ihr den möglichen Zweck ihrer Reise eröffnen kann und sie für ihren weiteren Weg anleitet.
Es wurde eine ganze Menge Filmtechnik eingesetzt. Es gibt Zeitraffer, Zeitlupen, viele hochauflösende Naturaufnahmen und interessante Effekte. Wie viel Zeit habt ihr in die Post-Produktion gesteckt?
Bowen hat es ungefähr einen Monat gekostet, die Post-Produktion abzuschließen, wobei er die letzten Wochen Vollzeit dafür gearbeitet hat. Und ich muss sagen, dass er einen föcking amazing Job gemacht hat! Jede Szene und jeder Charakter haben ihren eigenen Stil, um ein ganz eigenes, spezifisches Gefühl für jede Rolle zu entwickeln. Wenn beispielsweise der Geist der Verschiedenen (Addi) auftaucht, haben wir einen alten, matten Vintage-Look, der zeigen soll, dass er aus dem Reich der Toten kommt. Wenn er jedoch das zweite Mal verschwindet, geht Bowen in einen sehr modernen und sauberen Stil mit starken Farben über.
Der Clip verbindet sehr viele Stile miteinander. Dass hier mehr als Enthusiasten am Werk waren ist offensichtlich. Was gibt es dazu zu berichten?
Sowohl Bowen, als auch Gussi haben Film studiert und sind sehr vielseitig. Sie sind sehr kompetent, was die Arbeit mit mehren Stilen angeht.
Welches Equipement habt ihr benutzt und wie hat sich das seit der Zeit von "Ritual of Fire" verändert?
Für das "Ritual of Fire"-Video hat Matthias eine einzelne HD-Kamera benutzt. Für das "Fjara"-Video benutzten Bowen und Gussi eine Canon 60D sowie eine 550D; beides DSLR-Kameras. Dazu eine Sony Z5U/ K-3 mit 16mm und ich wage es zu sagen, sogar ein IPhone4 für einige Zusatzaufnahmen.
Ich persönlich nutze eine alte russische Mittelformatkamera (120mm) namens Kiev und eine alte Nikon 35mm-Spiegelreflexkamera (die selbe, die ich für das "She Destroys Again"-Video benutzt habe).
Welchen Stellenwert hat diese Art Kunst für dich und seit wann arbeitest du auf einem höheren Level? Wann hat deine Begeisterung für die Fotokunst begonnen?
Ich habe es schon immer gemocht Fotos zu machen, aber wirklich ernst genommen habe ich es erst, nachdem ich dieses Mädchen getroffen habe, das eine alte Filmkamera und ein Vergrößerungsgerät besaß, welche sie nicht mehr benutzte. Also habe ich mir einen kleinen dunklen Raum gesucht und war absolut begeistert davon. Auch wenn das digitale Zeitalter sich damals, 2005, schon lange etabliert hatte, arbeite ich immer noch lieber mit Filmen. Fotografie und visuelle Kunst sind seitdem sehr wichtig für mich und kommen an zweiter Stelle, gleich nach der Musik.
Sólstafir
Gibt es schon Pläne für weitere Videos oder steht dem ein zu großer Probenplan für die anstehende Saison im Weg?
Wir haben erst die Aufnahmen zum "Svartir Sandar"-Release Gig zusammen mit Gussi abgeschlossen und er hat bereits mit der Bearbeitung begonnen. Wir planen das noch vor Ende des Jahres als DVD zu veröffentlichen. Wir würden wahnsinnig gern mehr Musikvideos machen, aber das ist ein sehr teurer Sport, wenn es gut gemacht sein soll. Und nachdem nun das "Fjara"-Video die Latte ziemlich hoch gesetzt hat, können wir nun auch nicht mehr mit halbherzigem Scheiß daherkommen. Hoffentlich wird Seasons of Mist einwilligen, uns einen weiteren epischen Film zu finanzieren.
Wie steht es mit der Vorfreude auf die Paganfest Tour? Kennt ihr schon einige der Jungs, wie Primordial oder wird es eine Überraschung, wie ihr miteinander klar kommt?
Wir freuen uns so weit darauf wie möglich, wenn man der Eröffnungsact für sechs weitere Bands ist, von denen die meisten schrecklichen Polka Metal spielen, haha! Aber ja, wir haben die Jungs von Primodrial letzten November auf dem Christmas Metal Meeting getroffen und sie wirkten schon ziemlich cool und nett.
So opulent der Clip ist, was kann man da von eurer Bühnenpräsenz erwarten? Ist das noch ein Geheimnis oder kannst du bereits einen kleinen Hinweis geben, was die Fans erwarten können?
Unsere Bühnenshow hat sich in den letzten Jahren nicht sehr verändert, denke ich. Wir geben immer noch 110% und lieben es wirklich zu spielen und ich denke das überträgt sich auf das Publikum. Wir versetzen euch in die Trance, in der wir sind, während wir auf der Bühne stehen.
Soweit war es das von uns und mit einem großen Dankeschön möchte ich mich verabschieden. Ich hoffe man sieht sich auf Konzerten in und um Deutschland. Viel Erfolg für die Zukunft und die letzten Worte gebühren dir!
Danke für das interessanteste Interview seit langem! See you on the road very soon!