Es war Samstag und endlich wieder einmal an der Zeit inkognito zu arbeiten. Keine Presseausweise, keine Kamera, kein Merken von Playlisten und kein Aufsaugen jeder Sekunde Musik mit der Angst, irgendetwas wichtiges zu verpassen. Fotos werden nur ganz lässig mit dem Handy gemacht, denn heute wird sich keine Mühe gegeben. Wofür auch? Die dreckige Hipster-Meute musste unterwandert werden und so war es wichtig, sich als einer von ihnen auszugeben, um unerkannt die Abgründe dieses subkulturellen Schlages zu studieren. Beispielsweise die vertrakten Praktiken des Jutebeutel-Druckes im Keller neben den Toiletten. Oder die Kleidungs-Schmemata, bestehend aus wuchtigen Brillen, Wildleder-Westen und dicken Schnurrbärten. Davon hatten wir natürlich nichts und fielen auf wie neunbeinige Kaninchen. Wir waren eindeutig in die Höhle des Hipstertums geraten, denn das Leipziger UT Connewitz war vollgefropft und stank nach Pseudo-Intellektualität. Dieser Ort war absolut angesagt an diesem Abend. Kein Wunder, denn heute am dritten Tag des "Doom Over Leipzig"-Festivals standen die ganz trendigen Headliner auf der Bühne. Hexis, Zatokrev, Lento, Heirs und Bossk sollten für einen unvergesslichen Trip sorgen und die Ketten der Szene sprengen. Sollten sie, haben sie aber nicht.

Grund genug, erst einmal die kulinarisch ausgefeilteste Adresse in Connewitz aufzusuchen. Das Shisha/Döner-Restaurant um die Ecke hat den Markt verstanden und alles auf die junge Klientel ausgerichtet, die auf Gesundheit und Hygiene pfeift. Fettiges Dönerfleisch, Burger, Bier und schön qualmen in der Kneipe. Selbstverständlich sitzt da auch das Kind zur Vorabend-Unterhaltung in der Rauchhöhle und zieht sich zu 'ner guten Menge Passiv-Krebs auch noch SuperRTL rein. Keine Ahnung, was nun schlimmer ist, gesund kann beides nicht sein. Ganz im Gegensatz zu der Connewitzer Curry-Sauce, die dort jedem aufs Fladenbrot geschmiert wird, der nicht sofort “Stopp, unterlasse er dies” schreit. Absolut köstlich, gerade wenn nebenher noch der Erdbeertabak-Qualm ein weiteres Aroma beisteuert. Fantastisch.



Nach dieser Stärkung konnte man nun frohen Mutes ins Theater gehen und mal schauen, was die Dänen Hexis so auf dem Kasten haben. Einiges, aber auch nichts weltbewegendes. Wie so oft also, wenn es um Post-Metal geht: leichte Black Metal-Strukturen mit ganz viel Doom, flächigen Melodien und treibenden Drums. Hier wusste man noch nicht, dass man, mit Ausnahme der Schweizer Zatokrev, heute nicht mit viel Varianz rechnen konnte. Sei’s drum, zwei Fattigauer Hundebier drauf und die Riffs klingen gleich interessanter und das Drumming komplexer. Mit weniger kognitiven Kompetenzen lebt es sich sowieso viel interessanter. Nur eine der vielen kruden Theorien, die an diesem Abend noch ausdiskutiert werden sollten.

Zatokrev waren dann gleich eine ganze Spur intensiver und auch diverse Fattigauer später. Jenes kann eindeutig gesagt werden, Zatokrev wirkten an diesem Samstagabend noch am motiviertesten und musikalisch am anspruchsvollsten. Kein Wunder, die Jungs werden ja auch vom schweizer Staat finanziert. Würde die Schweiz mich finanzieren, könnte ich sicher auch mehr. Vorallem mehr trinken. Und einen gesteigerten Elan dazu hätte ich obendrauf. Generell wäre es auch angebrachter, mich zu finanzieren. Ich würde im Gegensatz zu den Eidgenossen auch jedem ein High-Five geben, der es will. Auch wenn ich dabei keinen Ton aus der Gitarre bekäme, wenigsten Publikumsnähe könnte ich garantieren. Gibt es eigentlich Live-Journalismus? Einer, der auf der Bühne sitzt und schreibt? Kann noch ‘ne ganz große Welle werden, denke ich.



Gefreut hatte man sich ja auf Heirs, aber bevor es soweit war, kamen nun doch erst die Italiener Lento, die nicht großartig anders klangen, als Hexis. Grund genug, nochmal einen Abstecher in den Gourmet-Aschenbecher zu machen. Mal noch ‘ne Pommes aufs Bier, bevor man noch dünn wird. War sowieso spannender hier, denn Kollege Fur entdeckte, dass “Star Wars Episode V” läuft und beschloss kurzerhand, mir das ganze Universum zu erklären. Mit bierseeliger Ruhe und einer klaren Realismus-Skepsis analysierte man kleinlich Chubakka und Co., bis man wieder Lust und Laune hatte, die letzten Sekunden von Lento zu sehen. Warum tritt Harrison Ford hier eigentlich nie auf? Der macht doch auch Musik, oder? Zumindest hat er für The Doors getischlert und das kann man doch auch zu einer Bühnenshow machen.

Schnell noch ‘n Bier geholt, der Rauch muss ja irgendwie aus dem Rachen gespült werden. Zudem wollte man die Australier Heirs auch nicht trocken erleben. Hätte man das, fiele die Kritik sicherlich noch etwas schärfer aus, denn an dem Abend war nichts so enttäuschend wie das, was der Haufen aus Down-Under da abgeliefert hat. Die meiste Mühe gab man sich wohl mit den getragenen Klamotten, die vom Wikinger-Kostüm, über den 60er-Jahre Jazz-Musiker bis hin zu Rob Halford reichte. Dazu beste Playback-Einspieler, eine gute Portion Arroganz und absolut übertriebende Begeisterung über die eigenen, schiefen Riffs. Traurig, traurig das Ganze. Gerade, wenn man schon seit Jahren die Platten hört und sich den Kick in buntesten Farben ausgemalt hatte, den man haben würde, wenn man tatsächlich mal live sieht, wie diese Musik gemacht wird. Alles Fake, da war ja die Echo-Verleihung noch unterhaltsamer. Dämliche Scheiße.



Dann doch lieber Bossk aus Großbritannien. Klar, auch hier ging man wieder in Richtung Lento und Hexis, spielte aber wenigstens alles selbst und ohne digitale Zusätze. Die Stimmung war indes trotzdem gekippt wie ein Stausee, in dem man Atommüll lagert. Meine Fresse, wie erbärmlich waren Heirs denn? Unfassbar.

Hätte man doch lieber für 7€ Black Metal hören gehen sollen? Vielleicht, aber dann wüsste man auch nicht, dass Heirs scheiße, Zatokrev arrogant und wir die schönsten Journalisten rechts von Rheinufer sind. Was solls, so kennt man das ja und Enttäuschungen gehören zum Geschäft. Nun nur noch gefühlte zwei Stunden Bahn und Bus fahren und erzwungen offensiv Leute anquatschen, ob sie es nicht auch satt hätten, von allen nur verarscht zu werden. Haben sie, antworten die meisten, ich solle sie nur endlich loslassen und nicht mehr schütteln. Typisch, nicht einmal wachrütteln darf man die Menschen heute.