MONTAG:
Eng sind die Tilburger Straßen und man kann sich nie sicher sein, ob hinter der nächsten Ecke nicht ein Schild steht, das einem ganz hinterfotzig die Durchfahrt verwehrt. Doch alles kein Grund zu verzagen, denn die Anlaufstelle für angeheuerte Idioten war schnell gefunden und ohne groß zu zögern, händigte man uns die Presseausweise aus und entließ uns in die kleinstädtische Freiheit, die man so wohl nur in diesem kleinen Flecken in Nord-Brabant genießen kann. Schnell noch zu Albert Heijn, dem alten Kapitalisten, um denkfördernde Flüssignahrung zu besorgen und dann auf den mit 7 Zelten beinahe schon übervölkerten Zeltplatz mitten in der Stadt; bisher läuft alles gut, viel zu gut vielleicht. Sollte noch eine herbe Katastrophe folgen?
Nein, nichts davon - Incubate könnte man auch mit Frieden übersetzen, denn in diesem backsteinernen Kleinod hat man als Musikfreund nichts auszustehen. Aus jeder Ecke dröhnt es und die Häuser sind erfüllt von einer vibrierenden Stimmung, einer unübersehbaren Vorfreude auf sieben Tage voller kulturell Diversität. Von 8-Bit Techno bis hin zu crustigem Grind mit Speed Metal-Note wird einem hier alles serviert, was noch dazwischen passt. Ein Potpourrie, von dem wir unsere erste Nase in Form von Teethgrinder nehmen sollten. [Win]
Teethgrinder brachten meine Zähne nicht zum mahlen, werden mir aber mit dem spektakulären Absturz des Sängers im Gedächtnis bleiben. Ein Meter weiter links und er wäre samt Monitorbox auf meiner kauernden Wenigkeit gelandet. So entging ich ganz knapp dem Anschlag auf mein Leben und konnte meine Begleitung zum Ortswechsel bewegen. Denn das Leben ist gerade auf dem Incubate viel zu kurz um sich mittelmäßigem Gerödel hinzugeben. Musikalisch bedienten sich die Jungs aus der Hardcore- und Grindschublade, ließen dabei aber keinen Platz für Eingängigkeit oder Struktur. Schnell noch einen Blick auf die innerhalb eines Jahres hochgezogene Skatehalle im gleichen Gebäude und dann auf zu einem vielleicht besseren Gig.
Kiss the Anus of a Black Cat
Tatsächlich konnte Kiss the Anus of a Black Cat Im Midi direkt überzeugen. Die kauzige Mischung aus Wave, EBM und Folk funktionierte live ausgesprochen gut, pendelte das belgische Quartett doch abwechslungsreich zwischen eingängigen Tanzbeats und atmosphärischen Klängen. Definitiv eine Empfehlung für die heimische Musiksammlung, auch wenn sie mir auf Platte nicht so tanzbar erschienen wie hier und jetzt. Vielleicht brachten aber auch der ausgesprochen fette Sound und das dritte Bier des Tages meine Hüften zum Schwingen. [Fur]
Crowd of Chairs
Wo wir es maximal zu einer Stuhlbruderschaft bringen, die besoffen und Klobürsten schwenkend im Kreis läuft, gibt sich das belgische Pendant schon feingeistigeren Klängen hin. Crowd of Chairs, die als Avant-garde Noise Pop-Rock angekündigt wurden, hatten schlussendlich doch deutlich mehr Eier, als man vermutet hätte. Das Trio feuerte einen druckvollen Batzen melancholischer Wütigkeit durch den kleinen Saal, der aus einem tatsächlichen Ensemble hölzerner Sitzgelegenheiten Brennpaste gemacht hätte. So ergab es sich auch spontan, dass man sich gegen Entrapment und für ein Verweilen im Cul de Sac bei sündhaft teurem Bier entschied. Die vor rhythmischer Vielfältigkeit beinahe platzende Melange aus Metal, Indie-Rock und angestauten Emotionen hatte es einfach verdient, gehört zu werden. [Win]
Ein kurzer Abstecher zurück ins Midi für The Soft Moon war noch drin, aber das elektronische Geschiebe der amerikanischen Post Punker bot dann doch zu viel Gewohntes, um nachhaltig zu beeindrucken. Fans von Depeche Mode konnten aber durchaus ihre Freude haben. Auf Empfehlung nahmen wir den Weg ins etwa 50 Meter entfernte Extase auf uns, um den psychedelischen 70s Rock von Wand zu lauschen. So richtig Stimmung wollte aber auch dort nicht aufkommen. Zu vorhersehbar gestaltete sich das Dargebotene und ausschweifendes Instrumenten-Gestimme zwischen den Songs gilt nicht gerade als Atmosphären-Booster. Doch lieber um die Ecke im Stadskelder einer anderen Band unser Gehör leihen? [Fur]
The Shivas
Eine Chance sollte die erheiternde Musikkultur noch bekommen und so gab man sich den fröhlichen und sanfteren Klängen in einem zum Club umfunktionierten Hotelkeller hin. Für jene Heiterkeit zeichneten sich The Shivas verantwortlich, eine amerikanische Mann-Frau-Formation, die es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schienen, den 60er-Jahren nachzueifern und für ein wenig Hippie-Spirit im Stadskelder zu sorgen. Das gelang ihnen auch ganz ausgezeichnet, nur steckte mich die quirlige Freude der Surfrocker letztlich auch nicht ganz an.
Alcest
Nach einem frisch gezapften Mini-Bier ging es folgerichtig ins Dudok, einem kathedralesken Raum, in dem die Franzosen Alcest ihre verträumte Traurigkeit zum Besten geben sollten, was eine für das montägliche Incubate beträchtliche Menge an Leuten herbeibeschwor. Denen wurde zuerst einmal sanft begenet, indem man mit “Autre Temps” die aktuelleren Alben bediente, auf denen Neige seine Screams leider zur Gänze eingestellt hat. Doch ganz ohne kraftvolle Screams sollte der Abend dann nicht enden, denn mit den Klassikern “Écailles de lune”, “Percées de lumière” sowie “Souvenirs d'un autre monde” ließ man nochmal durchblicken, was eigentlich alles gehen könnte. Und daran, was gehen könnte, aber nicht mehr gehen soll, krankt Alcest für mich. Ich will keinen 0815-Dream Pop von einer Band, die so viel mehr könnte, als nur mit engelsgleicher Stimme und absoluter Sauberkeit zu trumpfen. Der soll gefälligst brüllen, wenn ich das will!
Diese Diskussion sollte sich auf dem Weg aus dem Dudok hin zum Döner unseres Vertrauens auch noch etwas ausweiten und ihr Ende schließlich auf der gemütlichen Couch im grünen Camping-Paradies finden. Dort traf man zu später Stunde noch ein paar alte Bekannte vom vergangenen Jahr, mit denen man diesen ersten Tag Revue passieren ließ. Zu meckern gab es eigentlich nichts, aber versucht hat man es dennoch. [Win]
Entdeckung des Tages:
Crowd of Chairs
The Shivas