Was bleibt zu sagen, wenn Nevermore sich nach ihrem bisher bestem Album „This Godless Endeavor“ gute fünf Jahre Zeit lassen, um nachzulegen? Klar, nur eines: die Erwartungen sind äußerst hoch. Und während das Soloalbum „Praises To The War Machines“ Warrel Danes von den meisten positiv und daher als gute Entschuldigung für die lange Wartezeit gewertet wurde, fand ich das Ding eher mittelmäßig, zu poppig und zu sehr auf seiner Stimme aufbauend. Und ich hoffte dementsprechend, dass „The Obsidian Conspiracy“ keinen zu großen Einschlag dieser Gestalt auweisen würde. Doch „The Termination Proclamation“, den die Seattler Progressive Death Metaller als Opener wählten, konnte mir genau diese Ängste nicht nehmen. Im mittleren Tempo – mit nochmals verlangsamten und recht ideenlos wirkendem Refrain – gehalten, erkennt man sicherlich sofort den typischen Stil der Kombo wieder. Doch dabei klingt das Dargebotene eher nach einer „light“-Variante von „This Godless Endeavor“.
Vielleicht wird’s mit „The Poison Throne“ besser? Hmm, ein wenig. Immerhin gehen die Jungs nun etwas technischer zu Werke, obwohl mir wieder einmal das magere Mid-Tempo aufstößt. Und der Refrain „Rise, rise, rise from the poison“ schlägt sehr in Richtung neuerer Arch Enemy-Veröffentlichungen (die ich aufgrund ihrer Vorherberechenbarkeit und Simplizität nicht sonderlich mag). Ein tolles Solo in der Mitte des Songs reißt noch was raus. Natürlich auch die Gesangslinien Warrel Danes abseits des Refrains. Trotzdem ein magerer Auftakt für ein so lang ersehntes Album...
Doch klar, das konnte es nicht sein, da musste ja mehr kommen. Und mit „Moonrise (Through Mirrors Of Death)“ liefern Nevermore endlich mal ein Stück ab, dass auch so auf “This Godless Endeavor” hätte vertreten sein können: Eingängiger aber nicht kitschiger Refrain, eine dichte Atmosphäre mit harten und epischen Stellen. Macht einfach Freude auf mehr.
Der unantastbare Favorit der Platte aber ist „And The Maiden Spoke“. Schon der unvergleichbar geile Gitarrensound zu Anfang ist so schön, dass man darin baden möchte. Dann treten die Jungs auch noch ordentlich auf’s Gaspedal, verbinden Gesang mit gesprochenen Passagen, kreieren mit einem verschroben-melodiösen Refrain eine bisher ungeahnte Tiefe für einen Nevermore-Song. Auch Jeff Loomis legt sich ordentlich ins Zeug und schiebt mal eines seiner genialen Soli ein. Leider haben die sich im Vergleich zu „This Godless Endeavor“ hier rar gemacht. Warum eigentlich?
Bei „Emptiness Unobstructed“ hat man den Eindruck, dass es eher in Nevermores „Dead Heart In A Dead World“-Phase passt. Übersichtlich partitioniert und mit einem derart eingängigen und übertrieben melodiösen Refrain, dass da auch ja keiner das Mitsingen vergessen kann. Bei weitem kein schlechter Song, aber doch zu vorhersehbar. Und warum, um alles in der Welt, muss man im Refrain ein 08/15 Schlagzeug-Rhythmus auspacken, den jeder Musikschüler schon drauf hat, bevor er überhaupt an die Schule kommt? Minimalismus groß geschrieben?
Mit „The Blue Marble And The New Soul“ folgt ein zu Beginn in gespenstisch-ruhiger Atmosphäre gehaltener Song mit nihilistischem Text, der auf frühe Zeiten der Band verweist. Und der Refrain – mein Gott, irgendwie habe ich es damit – ist mir zu kitschig. Ja doch, Nevermore haben schon immer einen Hang zu grenzwertig hochschwangeren Melodien gehabt. Dann haben sie aber wenigstens das Brett rausgepackt oder ein krankes Solo drübergelegt. Irgendwas. Aber so... nee!
„With Morals“ ist guter Durchschnitt – frei von jeglicher Experimentierfreude – und hebt sich durch nichts vom anderen Material ab. Nach guten vier Minuten ist es vorbei und ich bleibe unbeindruckt zurück. Nach in etwa der gleichen Zeit (die Songs sind im Schnitt alle auf radiotaugliche vier Minuten getrimmt) und ebenso emotional unberührt ist „The Day You Built The Wall“ an mir vorbeigeplätschert. Wo bleiben die großen Momente jenseits von Warrel Danes Gesang? Das klingt mir doch zu sehr nach seinem Soloprojekt. Dabei muss sich keiner hinter seiner Stimmleistung verstecken! Die Jungs haben es doch auf „This Godless Endeavor“ auch geschafft, sich durch ihre jeweils eigenen Leistungen in eine Aufwärtsspirale zu spielen und zusammen zu harmonieren.
„She Comes In Colors“ hat Potential, rutscht aber doch immer wieder in das langweilig dargebrachte Mid-Tempo, dass einem beim Hören des Albums schnell auf den Magen schlägt. Erstaunlicherweise holt der Titeltrack zum Schluss gerade durch die Geschwindigkeit und die vielen technischen Spielmomente viel heraus – und nicht durch Warrels Stimme.
Tja, da bleibt nur zu sagen: schade, schade, schade, eine Menge Potential verschenkt! Ein herausragender und zwei überdurchschnittliche Songs machen noch lange kein grandioses Album. In Zeiten, in denen andere Progressive Death Metal-Bands wie Pilze aus dem Boden schießen, sollten sich Nevermore langsam Sorgen um ihre Frontposition in diesem Genre machen. Warrel Danes Organ ist nicht zu ersetzen, logisch! Der Rest aber wirkt – bis auf genannte Ausnahmen – auf „This Obsidian Conspiracy“ zu austauschbar. Nur „The Maiden Spoke“ ist hier zukunftsweisend, alles andere mutet wie eine Art „Best-Of“ der Band an, was hoffentlich nicht deren Untergang einläutet, sondern nur ein Ausrutscher auf dem Weg zum nächsten Brecher ist. Und das möchte ich bitte, bitte, bitte nicht erst in fünf Jahren erfahren!