Nun, da die Fertigstellung des von mir langersehnten "ORwarriOR" der Israelis Orphaned Land ins Haus steht, ist vielleicht genau der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Gruppe mal vorzustellen. Dazu eignet sich kein anderes Album besser als das 2004 erschienene "Mabool", übrigens auch das letzte musikalische Lebenszeichen der Progressive Death-Metaller aus dem Nahen Osten. Aber was für eines!

Wenn man eines seiner Lieblingsalben vor sich liegen hat, fällt eine nüchterne Beschreibung ausgesprochen schwer. Daher werde ich das gar nicht erst versuchen. Ich empfehle vielmehr schon an dieser Stelle das unbedingte Anspielen für alle, die einer genialen Mischung aus viel progressiven, orientalischen und auch deathmetallischen Anteilen gegenüber nicht abgeneigt sind.

Der Hörer wird durch einen kurzen hebräischen Kindergesang in die musikalische Welt von "Mabool" (hebräisch für "Sintflut") eingeführt. Nach dieser Sequenz zeigen sich im Opener "Birth Of The Three" genau die Trademarks von Orphaned Land, die sie so einzigartig und unverwechselbar machen: groovende orientalische Rhythmen, die von druckvollen Gitarren, aber auch exotischeren Instrumenten wie der Bouzouki, Oud und Saz begleitet werden. Wie die Jungs es schaffen, all diese instrumentalen Einflüsse zu einem großen Ganzen zu verbinden, ohne dass diese gegeneinander arbeiten, ist mir nach all diesen Jahren immer noch ein Rätsel. Das ist kompositorisches und spielerisches Können auf höchstem Niveau! Aber damit noch nicht genug: Kobi Farhi, seines Zeichens Sänger, zeigt gleich im ersten Song die Bandbreite seines Potentials auf. Einem Mikael Åkerfeldt (Opeth) in nichts nachstehend, singt er im einen Moment glasklar, um im nächsten zu grunzen oder in rauen Sprechgesang zu verfallen.

Und so wird die Geschichte, eben die "Story Of The Three Sons Of Seven" (Untertitel des Albums) erzählt. Die Drei Söhne symbolisieren die drei großen Religionen Judentum (Schlange), Christentum (Löwe) und Islam (Adler). Sie versuchen, die Menschheit vor der Sintflut zu warnen, die Gott als Strafe für ihre Sünden senden wird. Da könnte mancher jetzt einwenden, dass das ein tröges religiöses Thema ist. Mag sein, aber die Umsetzung ist so etwas von genial gestaltet! Kobi wird nicht nur hier und da von Chören begleitet, sondern auch von den traditionellen jemenitischen Gesängen Shlomit Levis, die mit ihrer wunderbaren Stimme ein nicht wegzudenkendes Element der Platte darstellt. Ihr Gesangssolo am Ende von "The Kiss Of Babylon" ist im wahrsten Sinne des Wortes göttlich! Augen zu und genießen. Sie leitet damit über zum traditionellen "A'salk", in dem deutlich die nahöstlichen Wurzeln von Orphaned Land zutage treten. Mit "Halo Dies (The Wrath Of God)" folgt das Stück mit dem härtesten Einschlag auf dem Album. Aber auch hier wechseln sich immer wieder raues Riffing mit cleanem Gesang und extrem atmosphärischen Gitarrensolos ab.

Das stimmungsvolle "Norra El Norra" dagegen lädt fast schon zum mittanzen ein. Der Refrain ist sehr catchy und Eden Rabin darf am Ende des Tracks mit einem Soloteil sein ganzes Können am Piano unter Beweis stellen. Kein Instrumentalist steht auf diesem Album auf Dauer im Schatten des anderen. Jeder trägt sein Schärflein zur Gesamtkomposition bei, ohne sich - im wahrsten Wortsinn - in den Vordergrund spielen zu wollen.

Mit "The Calm Before The Flood" wird dann unerbittlich der epische Schlussteil von "Mabool" angekündigt. Eine akustisch gespielte E-Gitarre, begleitet von sanften Streichern, Wind- und langsam einsetzenden Regengeräuschen. Ja, die Flut wird kommen. Das spürt man sofort. Der Regen wird kräftiger, wandelt sich in ein Gewitter, die Streicher setzen erneut ein, diesmal jedoch dramatisch gespielter, bis sie in ein Staccato übergehen. Die Gitarren und das Schlagzeug werden eingeblendet, und dann ist sie da: "Mabool", die Flut. Sie erstreckt sich über fast siebzehn Minuten, um dann zu verebben und mit dem wunderschön verträumten Instrumental "Rainbow" zu enden.

Was für eine Geschichte, die hier erzählt wird! Man möchte sie wieder und wieder hören, wenn man sie erst einmal lieben gelernt hat. Dabei ist es vielleicht nicht einmal die Geschichte der Drei Söhne selbst, die so fasziniert, sondern vielmehr die Umsetzung. Bevor ich mich jetzt in noch mehr Superlativen verliere, schließe ich mit den Worten: ein Meilenstein der Musikgeschichte im Progressive Death Metal!

Orphaned Land · Mabool - The Story Of The Three Sons Of Seven · 2004

Redaktion

verfasst von ewonwrath
vom 23.06.2009

10 / 10

Playlist

01 - Birth Of The Three (The Unification)
02 - Ocean Land (The Revelation)
03 - Kiss of Babylon (The Sins)
04 - A'salk
05 - Halo Dies (The Wrath Of God)
06 - Call To Awake (The Quest)
07 - Building the Ark
08 - Norra El Norra (Entering The Ark)
09 - Calm Before The Flood
10 - Mabool (The Flood)
11 - Storm Still Rages Inside
12 - Rainbow (The Resurrection)
13 - Evil Urge [Live]
14 - Never Ending Way [Live]
15 - Mercy [Paradise Lost Cover, Live]
16 - Beloved's Cry [Live]
17 - Orphaned's Medley: My Requiem/Seasons Unite/Of Temptation Born/...