Die Schweiz kann Death Metal. Das beweisen nicht nur die alteingesessen Hasen wie Disparaged, auch der Untergrund ist immer für eine Überraschung gut. Das jüngste Beispiel: Defaced mit ihrem selbstproduzierten Debüt „On the Frontline“. Wer dabei in Verbindung mit dem Cover eine weitere Bolt Thrower-Coverband erwartet, wird schon mit den ersten Riffs eines Besseren belehrt.
Die „Bitter Pill“ eröffnet eine Reise quer durch die besten Momente der Death-Metal-Geschichte. Was zuerst noch sehr an Disparaged wütendes Geraffel erinnert, kriegt nach dem Break einen fast Behemothschen Touch. Dabei zeigt Sänger Manuel eine gesangliche Bandbreite, die sich nicht hinter Kataklysms Kuschelbär Maurizio verstecken muss. Überhaupt scheinen die Kanadier einigen Eindruck bei den Schweizern hinterlassen zu haben. Am deutlichsten merkt man das wohl bei „Gore House“, dem passenderweise auch das altbekannte „Hellraiser“-Zitat „Pain has a face, allow me to show it to you“ vorangestellt ist. Und hier hört man auch den Unterschied zwischen einer satten und einer hungrigen Band.
Defaced sind definitiv hungrig und überraschen an jeder Ecke mit unerwarteten Ideen, die zwar bekannt vorkommen, aber in der Kombination nicht unbedingt zu erwarten sind. Wo im einen Moment noch epische Amon Amarth-Hymnen stehen, wird im nächsten Moment herrlich grindig losgebolzt oder die moderne Melodic Death Schule zitiert. Soviel Variation muss technisch perfekt umgesetzt sein und gerade hier überzeugt „On the Frontline“. Da darf man sich in all dem Gebolze auch mal über ein fast schon vergessenes Element des Death Metal freuen: das Gitarrensolo.
In einem Jahr voll stumpfer Old School Klone sind Defaced ein echter Lichtblick. Man weiß nicht so recht, ob die Schweizer noch auf der Suche sind, oder sich bewusst nicht auf eine Spielart festlegen lassen wollen. So oder so bietet „On the Frontline“ eine unterhaltsame Reise durch den modernen Death Metal, der keine Angst vor Melancholie, Epic, Geprügel und Melodie hat. Luft nach oben bleibt trotzdem, denn häufig denkt man in erster Linie an den Ursprung der verwendeten Zitate. Wenn die Jungs den ganzen Elementen noch einen Tick mehr Eigenständigkeit verleihen, erwartet uns aus der Schweiz demnächst mal wieder etwas Großes.