Es gibt durchschnittliche Konzerte, die sind dem Besucher kaum eine Randbemerkung wert. Mit ausschweifenderen Schilderungen werden eher die richtig guten Konzerte bedacht. Die hinterlassen nicht selten Begeisterung und sind auf ihre eigene Weise manchmal ganz besonders. Wer hingegen die letzten Töne dieses Konzertabends mit Baroness erlebt hat, der ist zunächst nur sprachlos, steht wie angewurzelt mit starrem Blick und offenem Mund vor der Bühne – und kann sein Glück kaum fassen. Nach schweigsamen Minuten in einem fernen Gefühlskosmos formen sich spontane Gedanken, erste Worte zu einer Beschreibung im Hier und Jetzt. Doch letztlich können Worte nicht dorthin gelangen, wo diese Musik ihren Ursprung hat. In einer anderen Sphäre.

Draußen ist Winter. Auf dem Weg zum Zoro zittern wohl die wenigsten vor Aufregung, denn Matschwetter mit überfrierender Nässe macht jeden Schritt zur Gleichgewichtsprobe. Drinnen ist Sommer. Die Luft ist stickig vor Zigarettenqualm, geradezu heiß und trocken verglichen mit der Außenwelt. Und im Gegensatz zu draußen kann im Konzertsaal schlichtweg niemand umfallen. Es ist so voll, dass ein Fuß kaum vor den anderen passt.

Schließlich fand sich ein Plätzchen mit direktem Blick auf die Bühne, wo bereits die Lokalband Guts and Guns mit einer Mischung aus Punk und Metal lauerte. Der gutturale Gesang der Sängerin und das ungestüme Spiel des Schlagzeugers schufen eine eigenwillige Grundstimmung, die vom einfallsreichen Riffing des Gitarristen deutlich übertönt wurde. Optisch hervor stach insbesondere die Bassistin mit ihren blonden, schulterlangen Haaren und der Weste aus rotem Leder, auf deren Rückseite der tschechischen Punk- und Hardcoreband Red Insect gehuldigt wurde. Damit erschöpfte sich leider, ohne der Band unrecht tun zu wollen, das Besondere an diesem Auftritt. Das Schlagzeug klang dumpf, und die Sängerin konnte die Grunztonlage nicht immer halten. So scheint sich das Vorurteil mancher Außenstehender zu bestätigen, dass das Zoro eher ein typischer Punkschuppen mit schlechtem Sound, durchschnittlicher Musik und bedrückender Atmosphäre sei. Doch gewiss gaben die Vier von Guts and Guns ihr Bestes und sehen den braven Applaus vielleicht als Ansporn für zukünftige Höhenflüge.

Nach fast 45 Minuten währender Umbaupause, immerhin Zeit genug, um einen der vorderen Plätze zu ergattern, hatte sich die nachfolgende Combo, die vier Schweizer von Nebra, endlich auf der Bühne eingerichtet. Von einem Suchtgenossen aus der ersten Reihe ließ sich Gitarrist Jérome Pellegrini noch schnell seine Beruhigungszigarette anfackeln, ehe er, auf ein Zeichen wartend, für einen Augenblick meditativ innezuhalten schien. In aller Eile nahm auch Bassist Robert Emslie noch einen Zug, und auf einmal war die ganze Hektik vorbei. Übrig blieb nur: noch mehr Hektik. Wie von der Tarantel gestochen legten die drei Klampfenmänner los und feuerten ein Riffgewitter ab, als wollten sie die Sterne vom Firmament schießen. (Oder von der Himmelsscheibe von Nebra, nach deren Fundort sich die Band wohl benannt hat.) Mit wuchtigen Oberkörperbewegungen schleuderten sie unablässig ein Riff aufs andere in das Publikum. Das klang zugegebenermaßen fett und technisch hervorragend, vor allem wenn die zweite Gitarre, gespielt von Philippe Hess, der ersten auf die Note folgte. Schließlich handelt es sich ja laut MySpace um „massive and epic instrumental metal, with warrior harmonies howling through walls of guitars“. Aber genau darauf beschränkte sich bereits die Bandbreite Nebras Musik. Die Songs klangen austauschbar, hatten keine griffigen Hooks, wirkten zu beliebig. Abgemildert werden konnte dieser Eindruck keineswegs durch Tempovariationen oder Gesang, denn beides gab es nicht. Besser wurde es auch nicht durch die gekünstelten, überschwänglichen Teufelsgrüße und -schreie Jéromes und Roberts vor wirklich jedem (!) Titel. Allenfalls im neunten und letzten Song („Shoulder of Orion“) keimte Abwechslung auf, zeigte doch die Rhythmusfraktion, dass sie auch anders kann. Zurück bleibt abschließend nur
der Wunsch, die Band möge beim nächsten Gig nicht erst in letzter Minute eintreffen. Vielleicht herrscht ja dann auf der Bühne, verbunden mit einem ideenreicheren Spiel, weniger Hektik.

Dass die Jungs von Nebra bereits nach dem dritten Song in ihrem eigenen Schweiß badeten, hätte Vorwarnung genug sein müssen. Denn nach einer kurzen Pause zum Luftholen an der frischen Luft standen die Massen bereits derart dicht vor der Bühne, dass in allen Leidgeprüften unweigerlich die Erinnerung an das Gedränge bei den Mainacts großer Festivals wach werden musste. Zum Glück war die Pause diesmal deutlich kürzer. Schade nur, dass dem wartenden Nichtraucher das Leben durch artfremde Genossen zur Qual gemacht wurde.

Doch früh genug haben die Baroninnen ihre Instrumente justiert und stehen, ebenfalls kollektiv eine Zigarette rauchend, abfahrbereit im Scheinwerferlicht. Es ist 0.40 Uhr, als die ersten Töne des Intros „Bullhead’s Psalm“ vom aktuellen Album “Blue Record“ erklingen, und die Menge bereits bedrohlich hin und her wogt. Diese kennt schließlich mit dem unmittelbar danach einsetzenden „The Sweetest Curse“ kein Halten mehr und beginnt dermaßen zu rocken, dass in den folgenden anderthalb Stunden kein Körper trocken bleiben wird. Es wird gepogt, es wird gebängt, es wird mitgegrölt. Menschen liegen sich jubelnd in den Armen. Die meisten wissen wohl gar nicht, wie sie ihre Freude zuerst ausdrücken sollen.

Welche Umstände sorgen aber nun für eine solch außergewöhnliche Euphorie? Die Mischung aus Hard Rock jenseits der 90er Jahre und Sludge Metal kennt der Hörer schon von Mastodon. Die punklastigen Beats des hünenhaft wirkenden Schlagzeugers Allen Blickle sind sicher auch keine Innovation. Die bratenden Gitarren machen da keine Ausnahme, Neurosis und Isis erschaffen ähnliche Gewitter. Die scheinbar testosterongeladene Stimme vielleicht? Nun, die ist ungewöhnlich, und sie besitzt definitiv Wiedererkennungswert!

Doch was die Band wirklich von vielen, vielen anderen abhebt, ist wie so oft mehr als die Summe aller ihrer Teile. Bereits auf dem Debüt „Red Album“ versprühten Baroness eine wahnsinnige Spielfreude. Das Unglaubliche daran: Diese Freude wird live sogar noch übertroffen. Diese vier Menschen müssen auserwählt worden sein! Der Zuschauer hat das Gefühl, einen vierteiligen Organismus auf der Bühne zu beobachten, der vom charismatischen Sänger und Gitarristen John Dyer Baizley gelenkt wird. Mit seinem kurzgeschorenen Kopf und dem mächtigen, konstrastierenden Vollbart wirkt er wie ein losgelassener Kämpfer, wenn er, weit ausholend, in die Saiten hämmert und mit sperrangelweit aufgerissenem Munde seinen wütenden Gesang herausbrüllt. Wenn sich jedoch urplötzlich die harte Schale öffnet, dann dürfen alle das Herz des Kämpfers schlagen hören. Unglaublich warme, fast zerbrechliche Gitarrenmelodien scheinen jeden zu umarmen, greifen förmlich nach dem Zuhörer – ehe sie von dem nächsten Wutausbruch zurückgeholt werden.

Als das Wasser zum ersten Mal die Beine der Fans hinabrann – Bassist Summer Welch und
Schlagzeuger Allen hatten ihre Shirts bereits ausgezogen – roch es nach Schweiß, nach feuchtem Leder, nach qualmenden Kippen, einfach nach allem. Nicht nur in dieser Phase des Konzerts sorgte ein traumhaftes Interlude geschickt für Pause und Abkühlung. Die war nämlich regelmäßig nötig, um die vorgetragenen Hits wie „Jake Leg“, „The Birthing“, „A Horse Called Golgotha“, „Rays on Pinion“, „Isak“ oder „Wanderlust“ ohne Hitzekollaps überstehen zu können. Mit dem ausladend interpretierten Outro „Bullhead's Lament“ deutete sich irgendwann das Ende an. Die Abschiedsworte des freundlichen Sängers, die fast einer Rede gleichkamen, ließen Baroness noch sympathischer werden, als sie ohnehin schon waren: Ihre Leidenschaft und damit ihre Musik könne die Band nur mit Hilfe des Publikums ausdrücken. Bevor sie gemeinsam von der Bühne verschwanden, muss sich jeder einzelne berührt gefühlt haben, als John die Hände auf seine Brust legte und allen aus dem tiefsten Innern seines Herzens dankte.

Nach einer kurzen Pause und vereinzelten Zugaberufen kam John tatsächlich noch mal zurück. Und was er nun ankündigte („with one of our heroes on stage“) sollte diesen unvergesslichen Abend krönen. Auf die Bühne begleitete ihn kein geringerer als Scott Kelly von Neurosis, der erst wenige Stunden zuvor im UT Connewitz sein eigenes Konzert gegeben hatte. Gemeinsam spielten sie Townes van Zandts melancholischen Countrysong „Tecumseh Valley“, Scott Kelly mit unverwechselbarer Grabesstimme und verstärkter Akustikgitarre im Vordergrund, Peter Adams und John Dyer Baizley mit ihren flirrenden Gitarren im Hintergrund. Und als wäre das nicht genug gewesen, versprach John nach dem verklungenen Applaus auch noch einen Coversong. Sonst würden sie das zwar nicht mögen, und sie hätten das auch erst höchstens dreimal gemacht, „but today ... we play one. Sing along, if you can!“ Kredenzt wurde schließlich „New Age“ (1983) von der britischen Punkband Blitz, welche die Jugendzeit der Bandmitglieder maßgeblich bestimmte. Spätestens jetzt fühlte sich jeder jung genug, um heiter und unfassbar glücklich hinaus in die Nacht zu stapfen. Die Seele gefüllt mit einem Erlebnis, das so nicht wiederkehren wird.