Die landläufige Faustregel besagt ja, dass man aller sieben Jahre seinen Geschmack in Nuancen ändert. Ken und sein Trupp sind da deutlich anfälliger. Schwor man mit "In the Abscence of Light", nach der aggressiven Keyboard-Orgie namens "In the Shadows of a Thousand Suns", dem symphonischen Black Metal ab, um ein reinrassiges Schwarzbrett der roheren Schule zu servieren, geht man Anno 2012 mit "Becoming" scheinbar wieder in eine andere Richtung. Nach links! Nach rechts! Nach oben? Jedenfalls nicht dahin, wo man vor zwei Jahren war.

Abigail Williams scheinen die Welle auch noch erwischt zu haben und preschen mit geballter Wucht in den Depressive Black Metal. Hart, schnell, melodiös und verspielt zeigt man, dass auch dieses Genre beherrscht wird. Zeitweise etwas in der Manier von frühen Graveworm und definitiv auf der Höhe aktueller Szenegrößen, gibt es traurige Riffs, sentimentale Breaks und schmerzverzerrte Schreie. Die sonst immer sehr überladene Produktion hat man etwas zurück geschraubt und erreicht dadurch einen natürlicheren Klang, als dass vor zwei Jahren der Fall war. Wenn auch klar ist, dass man es hier mit Depressive Black zu tun hat, schieben sich doch stets härtere Passagen ein, die ähnlich brutal wie "In the Abscence of Light" anschieben, aber durch den stärkeren Verzicht auf Synthesizer homogener und düsterer klingen. Vollends auf Untermalung möchte man dann aber doch nicht verzichten und so gibt es immer wieder Geigen, Klaviere und Synthie-Teppiche zu hören, die ein voluminöses Klangbild erzeugen. Bereits der 11-Minütige Opener "Ascension Sickness" bietet das musikalische Vollprogramm und hat alles dabei, was man auffahren konnte, um ein wuchtig, melancholisches Trauerbrett zu schaffen. Spätestens ab "Radiance" weiß man schließlich auch, dass die Hexe es mit der hoffnungslosen Stimmung definitiv ernst meint. "Becoming" verortet sich zwischen aggressivem Hochgeschwindigkeits Black Metal und beinahe schon doomigem Depressive Black und weiß in beiden Richtungen eine gute Figur zu machen. Wieso "Three Days of Darkness" indes wie freudlose Cowboymusik à la "Proposition"-Soundtrack von Warren Ellis und Nick Cave klingt? - Es kann nur an der generellen Uneinigkeit dieses Mannes mit sich selbst liegen. Das 17- Minuten-Epos "Beyond The Veil" zeigt dafür nochmal am Stück alle Facetten dieser Platte!

"Becoming" ist nicht weniger überraschend, als "In the Absence of Light", was die Wahl der neuerlichen Ausrichtung betrifft. Dass diese jedoch auf Depressive Black Metal gefallen ist, hat den kleinen Nachteil, dass der Markt damit ziemlich übersättigt ist. Wenngleich Abigail Williams beweisen, dass sie auch diese schwarze Spielart locker aus dem Hut zaubern, liegen die Songs in einer breiten Überschneidung zu dem, was man 2011 schon vielerorts gehört hat. Gehört sollte man "Becoming" nichtsdestotrotz haben, denn Titel wie "Radiance" und "Infinite Fields of Mind" können als Perlen dieser Band betrachtet werden. Gemessen am bisherigen Werdegang, gehe ich einfach davon aus, dass Abigail Williams nun solange reduzieren, bis es sie vermutlich 2016 einfach nicht mehr gibt. In diesem Sinne, nach J. S. Bachs "Ich hatte viel Bekümmernis" ist sowieso alles Kopie!

Abigail Williams · Becoming · 2012

Redaktion

verfasst von Winterfreud666
vom 17.01.2012

8 / 10

Playlist

01 - Ascension Sickness
02 - Radiance
03 - Elestial
04 - Infinite Fields of Mind
05 - Three Days of Darkness
06 - Beyond the Veil